100 Jahre Bauhaus Dessau - es geht "an die Substanz"

Noch vor dem großen Jubiläum mit dem Titel "An die Substanz. 100 Jahre Bauhaus Dessau" machte die Institution "Bauhaus" in Dessau bereits Schlagzeilen. Die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) warnte im Oktober 2024 im Zusammenhang mit dem anstehenden Jubiläum vor der "einseitigen Glorifizierung" der Kunst- und Designschule und forderte in einem Antrag den Landtag von Sachsen-Anhalt zu einer kritischen Neubewertung der künstlerischen Bewegung auf.
"Der Antrag wurde abgeschmettert", sagte die Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, Barbara Steiner der DW. Das Thema sei aber immer noch präsent. "Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht irgendwo ein Interview gebe zur AfD."
Im Jubiläumsjahr stehen die Materialien der Moderne und der Gegenwart im Fokus von Ausstellungen und Veranstaltungen. Unter anderem im Bauhaus Museum Dessau.

Der Architekt Walter Gropius gründete das Bauhaus 1919 im thüringischen Weimar. Ihm schwebte eine Schule vor, die Kunst und Handwerk vereint. Es gab disziplinübergreifende Vorkurse, in denen Studierende mit Materialien experimentieren konnten, die für Möbel, Architektur, Kunst oder Design verwendet wurden. Danach erst entschieden sie sich für den entsprechenden Studien- und Ausbildungsgang.

1925 plante das Bauhaus den Umzug nach Sachsen-Anhalt - in die Stadt Dessau. Zu stark war der Gegenwind einer nationalistischen Regierung in Thüringen gewesen. Die finanzielle Unterstützung wurde gestrichen, die Kunstschule zum Umzug gezwungen. In Dessau empfing man das Bauhaus mit offenen Armen. 1926 konnte sich Walter Gropius hier den Traum eines eigenen Gebäudes für seine Hochschule erfüllen. Markant und weltweit bekannt ist die große Glasfront des Gebäudes, gegliedert durch senkrechte Stahlstreben. Das Bauhaus stand für klare Linien und Formen und verzichtete auf Ornamente.
Heute ist das Bauhaus in Dessau eine Stiftung, die sich mit Forschung und Gestaltung befasst. Das Gebäude wird als internationale Akademie für Kunst, Design und Architektur genutzt.
Ideen, die Welt neu zu gestaltenViele bekannte Künstler und Architekten - wie Ludwig Mies van der Rohe, Oskar Schlemmer, László Moholy-Nagy, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky und Paul Klee - lehrten am Bauhaus. Besonders die Idee einer einfachen und zweckmäßigen Architektur wurde von Brasilien über Israel bis nach Nigeria in die Welt getragen. Heute werden Ideen aus anderen Ländern ins Bauhaus getragen, etwa vom afrikanischen Kontinent, wo man weiß, wie Häuser so gebaut werden, dass sie bei heißen Temperaturen kühl bleiben.

"Am historischen Bauhaus gab es nicht nur eine Idee, die Welt zu gestalten", so Kunsthistorikerin Barbara Steiner. Man rang nach Lösungen für eine Welt voller Herausforderungen wie der Industrialisierung. Die Technologiegläubigkeit am Bauhaus Dessau führte zu einer engen Zusammenarbeit mit der Industrie, was aus heutiger Sicht auch negative Auswirkungen hatte.
"Wir haben heute großartige Objekte, die fast kultig verehrt werden, die Perfektion und Sauberkeit ausstrahlen", so Steiner. Über die Arbeitsverhältnisse in den Stahlwerken habe man im Bauhaus nicht nachgedacht. "Man sprach auch nicht über den Kohleabbau und die nötige moderne Infrastruktur." In den 1980er-Jahren gab es große Protestwellen. "Es gab Warnungen, wenn die Moderne so fortschreite, dann blieben zerstörte Landschaften und Umweltzerstörung zurück." Die AfD aber suggeriere, dass sich nie jemand kritisch mit der Moderne und dem Bauhaus auseinandergesetzt hätte, beobachtet Barbara Steiner.
In Dessau geht es an die SubstanzDas Motto "An die Substanz" ist doppeldeutig: Zum einen beschäftigt man sich im Jubiläumsjahr mit den tatsächlichen Bausubstanzen, wie Glas, Stein oder Holz, mit denen sich damals die Studierenden in den Vorkursen beschäftigten - und den Objekten, die daraus entstanden sind. Zum anderen geht es aber auch um die Substanz der Gesellschaft, um das Gemeinschaftsgefühl am Bauhaus. "Der starke kollektive Geist, der Wunsch, gesellschaftlich zu wirken: Das war eine Triebfeder des Bauhauses", sagt Steiner.

Heute sieht man genauer hin auf die Handelswege von Rohstoffen und Produkten. Studierende recherchieren, wo die Materialien für die Bauhäusler hergestellt und verarbeitet wurden und welche Nebeneffekte wie Umweltverschmutzung und Ausbeutung damit verbunden waren. "Die Firma Polysius hatte in Ostafrika in den 1920er-Jahren ein Zementwerk für diese großartigen Bauten. Heute schauen wir uns die Voraussetzungen an, die diese Architekturen und Objekte möglich gemacht haben", sagt Steiner. Die Studierenden sowie die Künstler und Künstlerinnen am Bauhaus suchen nach Ideen und Lösungen für Probleme, die damals wie heute noch relevant sind. Sie beschäftigen sich mit der Wiederverwertbarkeit von Materialien oder alternativen Baumaterialien wie Lehm.
Wie das Bauhaus sein Jubiläum feiertBis ins nächste Jahr hinein gehen die Jubiläumsfeierlichkeiten. Bauhausgebäude wie die Meisterhäuser der damaligen Lehrer zeigen im Laufe des Jahres verschiedene Ausstellungen. "Die Gebäude sind dabei unsere größten Exponate", sagt Steiner.

In der Parkanlage des Tierparks wird mit dem Anhaltinischen Theater das traditionelle "Bauhausfest" gefeiert, unter anderem mit den sogenannten "Materialtänzen" des Bühnenbildners Oskar Schlemmer. Die Kostüme sind geometrisch geformt aus Metall, Stoff oder anderen Werkstoffen.
Schon zu Anfangszeiten des Bauhaus sind die Studierenden verkleidet und lärmend durch die Stadt gezogen, was sie bei der Bevölkerung nicht gerade beliebt machte. Jetzt bleibt das Spektakel an einem Ort. "Mit dem Bauhausfest können wir diesmal nicht durch die Straßen ziehen wegen der Sicherheitsauflagen, die das nicht mehr zulassen", bedauert die Kunstwissenschaftlerin Barbara Steiner. Nach den verbalen Angriffen der AfD sind eventuelle Proteste von Gegnern der Institution nicht ausgeschlossen.

"Ich denke, diese Kampagne der AfD - und es war ja nicht nur eine, sondern eine Serie, die immer in diese Richtung gegen die Moderne zielt - das hat uns sehr viel Aufmerksamkeit und Unterstützung beschert", sagt Steiner. Gleichzeitig fürchtet sie die Wahrscheinlichkeit, dass die AfD in Sachsen-Anhalt die absolute Mehrheit im Landtag bei der nächsten Wahl gewinnen könnte. "Dann wäre der Stiftungsratsvorsitzende der Kulturminister der AfD, denn die Kultur ist für die Partei einer der Schlüsselbereiche."
Mit anderen Kulturinstitutionen bildet das Bauhaus bereits Allianzen. Gemeinsam hat man auch schon andere Vorstöße der AfD gegen die Moderne abgewehrt. Und dennoch hat Barbara Steiner von Zeit zu Zeit das ungute Gefühl, dass die AfD eines Tages die absolute Mehrheit im Bundestag gewinnen könnte. "Und dass dann, 100 Jahre später, doch das Bauhaus wieder geschlossen wird", sagt sie. Einen Unterschied zu 1933, als die Nationalsozialisten das Bauhaus schlossen, gäbe es allerdings: "Das Bauhaus hatte damals keine Unterstützung in der Bevölkerung, jetzt hat es sehr viele Fans."
dw